Die Österreichische Diabetes Gesellschaft [ÖDG] warnt vor den gesundheitlichen Folgen der gesamtgesellschaftlichen Gewichtszunahme und Bewegungsarmut der letzten Monate. Gemeinsam mit Prof. Otto Lesch, Psychiater und Experte für Lebensstiländerung, ruft sie auf, die Öffnungsschritte auch als Motivation zu verstehen, mit einem Plan erste Schritte in Richtung „Neuer Gesundheit“ zu gehen. Dabei ist es wichtig, sich erreichbare kleine, positiv formulierte Ziele zu setzen und auch mit Rückschlägen richtig umgehen zu lernen.
Corona-Kilos sind [leider] Realität
Univ. Prof.in Dr.in Susanne Kaser, Stv. Direktorin Universitätsklinik für Innere Medizin I der Medizinischen Universität Innsbruck und Präsidentin der ÖDG, erklärt: „Die viel beschworenen und oft im Scherz genannten Corona-Kilos sind eine Realität. Sie sind durch zahlreiche nationale und internationale Studien belegt und viele von uns können sie auf der Waage selbst beobachten. Bereits bei Kindern konnte in einer Studie des ÖAIE eine Gewichtszunahme von mehr als 4,5 Kilogramm pro Kind in sechs Monaten beobachtet werden.
Ähnliches sehen wir auch auf unseren Diabetesambulanzen: Homeoffice, Homeschooling, Lockdowns, ein geändertes Sozial- und Freizeitverhalten aber auch die einfache Angst vor der Ansteckung und somit dem Rausgehen führten zu einer deutlichen Bewegungsarmut, manchmal auch kombiniert mit Frustessen oder vermehrtem Alkoholkonsum. Die aktuellen Öffnungsschritte sollten für uns alle – jung oder alt, gesund oder krank – eine Motivation sein, wieder in Bewegung zu kommen und das eigene Ernährungsverhalten kritisch zu überprüfen.“
Wissen allein reicht leider nicht
Univ. Prof. Dr. Harald Sourij, Stv. Abteilungsleiter der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie an der Medizinischen Universität Graz und Erster Sekretär der ÖDG, betont: „Die Gefahren von Folgeerkrankungen durch zu viel Gewicht bei Menschen mit Diabetes sind bekannt, genauso wie Übergewicht als Risikofaktor, um einen Diabetes mellitus Typ 2 zu bekommen. Die meisten wissen auch genau, was dagegen getan werden sollte: mehr Bewegung mit Ausdauer- und Krafttraining und eine gesündere Nahrungsmittelauswahl mit mehr Gemüse, Hülsenfrüchten, Vollkornprodukten und Olivenöl und weniger Fleisch, Alkohol und Milchprodukte. Aber trotzdem fällt es vielen von uns schwer, diese Änderungen des Lebensstils konsequent und erfolgreich umzusetzen.“
Lebensrealitäten würdigen
Univ. Prof. Dr. Otto Lesch, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Psychotherapeut und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Suchtmedizin führt aus: „Eine erfolgreiche Lebensstiländerung hängt nicht von der zu vermeidenden Substanz – wie Alkohol und Tabak oder Zucker und Fett – ab, sondern von den Persönlichkeitsmerkmalen und psychosozialen Handlungsmöglichkeiten der jeweiligen Person. Dieses Bewusstsein brauchen sowohl jene Menschen selbst, die eine Lebensstiländerung anstreben, als auch ihre betreuenden Therapeut•innen. Die Motivation ist ein Beziehungsthema zwischen Therapeut•in und Patient•in. Dafür braucht es Zeit. Denn, um den Lebensstil zu ändern, ist es wichtig, den Lebensstil der Patient•innen auch kennenzulernen.“
Ein individueller Plan mit überschaubaren Zielen
So unterschiedlich wie Menschen sind, so unterschiedlich ist auch der individuelle Weg zum Erfolg. Jeder und jede braucht andere Motivationsmechanismen, um gravierende Änderungen im eigenen Leben umzusetzen. Wichtig ist, dass sich die jeweilige Person die Änderung vorstellen kann und Ziele wählt, die konkret und erreichbar sind. Dafür sind viele kleine Schritte und eine langsame Umstellung meist leichter, als ein radikaler großer Schnitt, der mit Verlust- und Versagensängsten behaftet ist.
Versagen ist eine Option, der man bewusst begegnen kann
Es kann immer wieder vorkommen, dass ein Vorhaben, wie mehr Bewegung zu machen oder seine Ernährung zu ändern, nicht so konsequent wie gewünscht durchgehalten wird. Lesch rät, sich diesem natürlichen Prozess bewusst zu stellen, indem man bereits VOR dem möglichen Scheitern Strategien entwickelt, wie man die Schuld gehen lassen kann und wieder seinen Weg aufnehmen kann: „Machen sie sich bewusst, dass Rückschläge auch ein Teil des Weges sind. Lassen sie Verständnis für Fehlschläge zu und erhöhen sie das Vertrauen in die eigenen Langzeiterfolge – mit zum Beispiel berühmten Zitaten, wie das von Angela Merkel: ‚Wir schaffen das‚. Wichtig ist, dass sie danach wieder weiter machen können. Aus den Erfahrungen des Scheiterns ergeben sich Hinweise für weitere therapeutische Schritte.“
Belohnen und Erfolge feiern
Genauso wichtig wie der Umgang mit Niederlagen ist auch der Umgang mit Erfolgen. Belohnungssysteme und die Würdigung von Erfolgen helfen, einen Weg weiterzugehen. Auch hier kann jeder selbst für sich die richtigen Belohnungssysteme finden. Für manche ist es das Lob und die Bewunderung anderer, für manche sind dies aber auch ganz materielle Belohnungen, wie sich etwas zu leisten oder zu gönnen. Die positive Interaktion verbessert das therapeutische Klima.
Gemeinsam geht es leichter
„Gemeinsam geht es leichter“ gilt sowohl für die eigentliche Tätigkeit als auch für die Beziehung mit der Therapeutin oder dem Therapeuten. Wenn es um eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten geht, ist es hilfreich, wenn die gesamte Familie das Thema gemeinsam angeht und nicht alle anderen im gewohnten Trott bleiben. Das erschwert die Veränderungsarbeit. Genauso macht Bewegung in Gesellschaft mehr Spaß als allein und man ist konsequenter, wenn jemand anderer auf einen wartet. Die einzelnen kleinen Zwischenziele der Verhaltensänderung gemeinsam mit der behandelnden Ärztin oder dem Arzt festzulegen, ist auch ein Akt der Gemeinsamkeit, der einen auf dem Weg unterstützt.
Mit mediterraner Kost in den Frühling
Abschließend erinnert Kaser an den kommenden Sommer: „Viele von uns denken gerne an Ferien am Mittelmeer, an das Lebensgefühl und die Entspannung, die damit verbunden ist. Aus medizinischen Gründen empfiehlt die ÖDG die sogenannte mediterrane Kost, eine Ernährungsform, die gut schmeckt und dem Körper gut tut. Versuchen sie die Umstellung der Ernährung mit dem guten Gefühl von Sonne, Strand und Meer zu verbinden, dann schmeckt das Gemüse mit Olivenöl gleich wie Urlaub.“
Über die Österreichische Diabetes Gesellschaft [ÖDG]
Die Österreichische Diabetes Gesellschaft [ÖDG] ist die ärztlich-wissenschaftliche Fachgesellschaft der österreichischen Diabetes-Experten•innen. Ordentliche Mitglieder der Gesellschaft sind Ärzt•innen und wissenschaftlich einschlägig orientierte Akademiker±innen. Assoziierte Mitglieder sind Diabetesberater•innen und Diätolog•innen.
Die Österreichische Diabetes Gesellschaft sieht es als ihre Aufgabe, die Gesundheit und Lebensqualität von Menschen mit Diabetes mellitus zu verbessern. Sie setzt sich daher für die Anliegen der Betroffenen ein. Sie fordert und fördert die stetige Verbesserung der Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus. Sie unterstützt die Forschung und verbreitet wissenschaftliche Erkenntnisse aller den Diabetes berührenden Fachgebiete sowohl zur Verbesserung der medizinischen Betreuung als auch zur bestmöglichen Vorbeugung von Neuerkrankungen.
(Bilder v.o.n.u.: Pixabay.com, Wild und Team Salzburg, Pixabay.com)